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Heftarchiv – Themen und Debatten

Lob des Arztes

Von einem "Lob der Krankheit" möchte man in diesen Tagen eher nichts hören. Und schon Ende des 19. Jahrhunderts ahnte der griechische Schriftsteller Emanuel Roidis, was ihm seine Leser daraufhin zurufen würden: "Dummes Zeug!" (Heft 3/2008). Roidis aber richtet seinen Blick auf die Zeit danach: "Das stärkste Argument zugunsten der Krankheit ist jedoch, daß man, ohne krank gewesen zu sein, nicht die höchste Glückseligkeit der Gesundung genießen kann." Der Genesene erlebe alles wie zum ersten Mal, „Bäume, Bürgersteige, Schaufenster, Theaterplakate“, und sehe alles mit anderen Augen: "Wie viel grüner erscheinen dir jetzt die Bäume, wieviel blauer das Meer!"

Darum, daß der Mensch durch die psychische und geistige Erfahrung der Krankheit ein anderer wird, sich nach der Krise wieder neu erlebt, geht es auch in dem Gespräch mit dem Mediziner und Epileptologen Dieter Janz in Heft 2/2011: "Das ist der Schlüssel in der Medizin. Das Wirksame ist das Wahre. Entscheidend ist zu verstehen, daß Krankheit immer in einen lebensgeschichtlichen Zusammenhang eingebettet ist und daß die ihr zugrundeliegenden Konflikte und Spannungen verborgen sind. Will man sie ans Licht bringen, muß man in die Biographie des Kranken einsteigen. Aus der biographischen Einbettung der Krankheit ergibt sich, daß der Mensch ein zeitgebundenes Wesen hat. Auch Krankheit hat daran teil. Zeitgebundenheit der Krankheit bedeutet, daß durch die Behandlung keine Restitution des vor der Krankheit herrschenden Zustandes erfolgt, daß Heilung nicht heißt: nach der Krankheit ist vor der Krankheit."

In Martin Gumperts "Lebenserinnerungen eines Arztes" (Heft 4/2018) wiederum wird die Literatur zur Möglichkeit, „mit den traumatischen Erfahrungen eines Lebens fertig zu werden, indem man in den Spiegel blickend das verletzte Bewußtsein betrachtet“ (Jutta Ittner). Gumpert, Mediziner und Schriftsteller, mußte vor den Nazis nach Amerika fliehen, tauchte als ägyptischer Arzt und Schreiber Mai-Sachme in Thomas Manns Josephs-Romanen auf und konnte trotz aller Brüche seines Lebens Bücher wie "The Anatomy of Happiness" verfassen.



EMMANOUIL ROIDIS Lob der Krankheit

Wahrscheinlich wirst du, lieber Leser, schon bei der Überschrift dieses Artikels mit den Achseln zucken und ausrufen: "Dummes Zeug!" Allerdings wohl nicht, wenn du mal schwer krank warst und noch daran denkst, was du damals empfandest.
Der erste und vielleicht größte Vorzug einer Krankheit besteht darin, daß du dich nur an diesen Tagen erzwungener Untätigkeit völlig frei fühlst von jeder Verpflichtung und Verantwortung gegenüber dir selbst, (...)

3/2008 | zum Text

DIETER JANZ Souveränität ist, nichts für Zufall zu halten. Gespräch mit Sebastian Kleinschmidt und Matthias Weichelt
Das ist der Schlüssel in der Medizin. Das Wirksame ist das Wahre. Entscheidend ist zu verstehen, daß Krankheit immer in einen lebensgeschichtlichen Zusammenhang eingebettet ist und daß die ihr zugrundeliegenden Konflikte und Spannungen verborgen sind. Will man sie ans Licht bringen, muß man in die Biographie des Kranken einsteigen. Aus der biographischen Einbettung der Krankheit ergibt sich, daß der Mensch ein zeitgebundenes Wesen hat. Auch Krankheit hat daran teil. Zeitgebundenheit der Krankheit bedeutet, daß durch die Behandlung keine Restitution des vor der Krankheit herrschenden Zustandes erfolgt, daß Heilung nicht heißt: nach der Krankheit ist vor der Krankheit.
2/2011 | zum Text

MARTIN GUMPERT Lebenserinnerungen eines Arztes. Autobiographische Aufzeichnungen. Mit einer Vorbemerkung von Jutta Ittner
Gumperts Lebenswerk ist sowohl für die Literatur- und Kulturwissenschaften als auch für die Medizingeschichte eine Fundgrube. Thomas Mann beschreibt in seinem Vorwort zu Gumperts "First Papers" die Doppelexistenz von Arzt und Schriftsteller als aufs natürlichste in seiner Person vereinigt. (Gumperts berühmter Kollege Alfred Döblin betonte hingegen, der Dichter seines Namens sei dem Arzt eigentlich gar nicht bekannt.) In Mai- Sachme, Manns liebevoll-ironischem Porträt des Freundes, vermischen sich denn auch Literatur, Leben und Medizin in der Personalunion von Arzt, Autor und Protagonist.
4/2018 | zum Text