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Heftarchiv – Themen und Debatten

Krieg und Frieden

Vor 75 Jahren endete der Zweite Weltkrieg. War es die erwartete Zeitenwende? Nicht für alle, jedenfalls nicht gleich. "Die letzten Tage des Kriegs und die ersten des Nachkriegs glichen einander grau in grau", schreibt Christoph Meckel, der sie als Zehnjähriger in Erfurt erlebte. "Für das Wort Frieden war die Zeit zu früh, ich hatte es öfter im Krieg als danach gehört." Wie dann aber doch ein neues Leben anfängt, trotz, ja gerade wegen des Zusammenbruchs alles Gewohnten, schildert er auf eindrucksvolle Weise – gleichsam noch mit Kinderaugen – in seinen Erinnerungen "Russische Zone" in Heft 3/2011.

Für den eine Generation älteren Günter Eich, der als Schriftsteller schon einigen Erfolg gehabt und in der verhaßten Armee gedient hatte, stellten sich ganz grundsätzliche Fragen: In der niederbayerischen Kleinstadt Geisenhausen, wohin es ihn verschlagen hatte, arbeitete er an einem Fragment gebliebenen Theaterstück, das in Heft 5/2015 posthum zum erstenmal erschien. "Von der Gegenwart des Jahres 1945 zu sprechen und damit die ‚dunkle‘ Vergangenheit des Protagonisten als die eigene offenzulegen, war Eich nicht möglich", schreibt Axel Vieregg in seiner Vorbemerkung. Dennoch nennt er das Wolburg-Fragment einen "Wendepunkt und Neubeginn von Eichs Schaffen in der Stunde Null, die hier tatsächlich als solche erfaßt und faßbar wird".

Victor Brombert wiederum, der als Kind russisch-jüdischer Emigranten in Leipzig zur Schule gegangen war, kehrte 1945 als amerikanischer Soldat zurück. Mit Anfang zwanzig hatte er bereits in mehreren Ländern gelebt, abenteuerliche Fluchten und zuletzt im Hürtgenwald eine der blutigsten Schlachten des Zweiten Weltkriegs heil überstanden. "Meine romantischen Jugendlektüren über Krieg und Krieger hatten mich darauf gebracht, daß auch ich ein Held sein könnte", erzählt er im Gespräch mit Richard Schroetter in Heft 6/2009. "Doch als ich zum ersten Mal unter Beschuß geriet, lernte ich Angst und Panik kennen." Eine Erfahrung, die Brombert später als renommierter Literaturwissenschaftler in Yale und Princeton in seinem Buch "In Praise of Antiheroes" (Lob der Antihelden) verarbeitete.

 

CHRISTOPH MECKEL Russische Zone
Die letzten Tage des Kriegs und die ersten des Nachkriegs glichen einander grau in grau. Für das Wort Frieden war die Zeit zu früh, ich hatte es öfter im Krieg als danach gehört. Viel helle, harte Courage schien nötig, ein Weiterleben für menschenmöglich zu halten. Zukunft, das Wort war mager geworden wie die, die es riefen, es war in ihm kein Jubel und keine Gewißheit, es irrte herum ohne Zuständigkeit, alt geworden, kaputt wie alles und jeder, es war eine Last.
3/2011 | zum Text

GÜNTER EICH Das Wolburg-Fragment (1945). Mit einer Vorbemerkung von Axel Vieregg
Es ist – jenseits aller Kollektivschuld und Kollektivscham – auch die Frage nach dem, was Eich als seine eigene Schuld und Scham empfand. Denn nur vordergründig geht es in "Die gekaufte Prüfung" um die Schwarzmarktzeit, ebenso wie es in dem Wolburg-Fragment nur vordergründig um die Inflationszeit ging. Worum es vor allem geht, ist Eichs Mitwirken im Rundfunk der NS-Zeit, speziell bei der weitaus beliebtesten, bekanntesten und mit 75 Sendungen umfangreichsten Funkserie des Dritten Reiches, dem "Deutschen Kalender. Monatsbilder vom Königswusterhäuser Landboten", die von 1933 bis 1940 zur besten Sendezeit lief.
5/2015 | zum Text

RICHARD SCHROETTER "Wir ahnten nicht, was kommen würde". Gespräch mit Victor Brombert
SCHROETTER: Haben Sie sich im Krieg jemals etwas geschworen, falls Sie das alles überleben würden?
BROMBERT: Nur für den Fall, daß ich diesen oder jenen Moment überlebe. Beten konnte ich nicht, aber ich schwor zum Beispiel, daß ich mich nie beklagen würde, falls ich überlebe. Natürlich habe ich nicht Wort gehalten.
6/2009 | zum Text