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Heftarchiv – Leseproben

Leseprobe aus Heft 2/2011

Schock, Ralph

»AM BESTEN GEFIEL MIR WIEDER REGLER»
Gustav Regler und Klaus Mann


Es war der Auftritt der Roten Armee auf dem Ersten Allunionskongreß der Sowjetschriftsteller im August 1934 in Moskau, der die unterschiedlichen Positionen von Gustav Regler und Klaus Mann schlagartig hervortreten ließ: Differenzen, die nicht nur ihren Briefwechsel grundierten, sondern auch in ihren Autobiographien Spuren hinterließen. Einige Wochen nach dem Kongreß veröffentlichte Mann in der von ihm herausgegebenen Exilzeitschrift »Die Sammlung« seine »Notizen in Moskau« (2. Jg., Heft 2 /Oktober 1934). Auf das martialische und von ihm als bedrohlich empfundene Auftreten der Soldaten kam er gleich zu Anfang zu sprechen: »Im Kongreß (…) erschien eine Abordnung der Roten Armee. Die Korridore zwischen den Stuhlreihen füllten sich plötzlich mit gefährlich stampfenden Soldaten, ein Teil von ihnen eroberte sogar das Podium. Helle Wonne bei der Literatur. Dieses war der Moment, wo ich mich am fremdesten in Moskau fühlte. Ich stand stumm. Und ich konnte meine Hände nicht zum Beifall zwingen. Es muß – dachte ich – eine Rote Armee geben und sie muß stark sein –: harte Notwendigkeit, kein Pazifismus wagt sie mehr zu leugnen. Aber warum die helle Wonne?«
Auf jenen »Moment des Schreckens (…), als die bewaffnete Macht eindrang in den Saal der Literatur und dort mit Jubel begrüßt ward«, auf just dieses Detail in Manns Aufzeichnungen reagierte Regler wenig später in einem Interview: »Ich glaube, Klaus Mann ist hier noch im Bann des bürgerlichen Pazifismus, dieses ›Opiats der Nachkriegsjahre‹, mit dem man die wachsende revolutionäre Welle abzuleiten suchte. Deshalb sieht Mann, der sich tapfer in die Reihen der Antifaschisten gestellt hat, einen Augenblick noch unter altem Gesichtswinkel, hört in Moskau nur die ›Stiefel der Uniformierten in den Saal der Literatur stampfen‹, hört nicht das Referat des Soldaten, das nicht nur im Niveau des Stils, sondern auch in den Gedankengängen wirklich die neue Welt vertrat« (Volk und Schriftsteller in Sowjetrußland – Eine Unterredung mit Gustav Regler, in: Deutsche Freiheit, Saarbrücken, 25. /26.12.1934, Nr. 288).
Regler hatte Manns Einwänden also nur Parteijargon und herablassende Besserwisserei entgegenzusetzen und bestätigte damit den Eindruck von Oskar Maria Graf, einem anderen Kongreßteilnehmer: »Gustav Regler trug stets eine gefurchte Stirn, sah ungemein beschäftigt aus, gab sich selbstbewußt und roch geradezu nach abschreckender Tüchtigkeit. ›Du bist Katechet!‹, sagte ich auf den ersten Blick zu ihm und witzlos antwortete er: ›Du wirst lachen, als Katholik war ich einmal drauf und dran, es zu werden'. ›Nein-nein, ich meine, Du bist Katechet auf alle Fälle! Derzeit kommunistischer!‹, sagte ich. (…) Er wußte alles, sah alles, verstand alles und fühlte sich stets verpflichtet, uns anderen, wenn wir etwas bemängelten, das vom sowjetischen und marxistischen Standpunkt begreiflich zu machen. (…) Er war geradezu grotesk beflissen, und wenn man das Wort ›Sekretär‹ als Zustand auffaßt, dann hatte man den ganzen Gustav Regler. Es läßt sich denken, daß er so etwas wie ein kommunistischer Musterschüler war« (Reise in die Sowjetunion 1934).
An Reglers dogmatische Sturheit erinnerte sich Mann in seiner Autobiographie »Der Wendepunkt«. Im 9. Kapitel der 1952 erschienenen deutschen Fassung charakterisiert er ihn so: »Mein begabter Freund Gustav Regler (ich empfehle seinen Roman ›Der verlorene Sohn'!) ist noch derartig kommunistisch, daß einem vor so viel militantem Glaubenseifer etwas ängstlich zumute wird«. Wenige Seiten später kommt er auf den Kongreß zu sprechen, mit ähnlichem Tenor: »Am deutschsprechenden Tisch ging es besonders angeregt zu. Theodor Plievier, Gustav Regler, Andersen-Nexö vertraten das marxistisch-leninistischstalinistische Dogma in seiner reinsten und starrsten Form.«
Dieses wenig schmeichelhafte Urteil beschäftigte Regler offenbar so sehr, daß er in seiner eigenen, 1958 erschienenen Autobiographie »Das Ohr des Malchus« darauf einging. Seltsamerweise nicht im Zusammenhang mit seiner ausführlichen Schilderung des Kongresses; an dieser Stelle findet sich bloß eine knappe Reminiszenz an den Kollegen: »Es kam Klaus Mann, der unsäglich Feinfühlende, das häßliche Entlein, dem viel zu wenige sagten, daß er ein Schwan war, in manchen Augenblicken schon gezeichnet von der Melancholie, die ihn 1949 dann übermannte (zum Schaden Europas); er war gespannt auf Gorki, fürchtete aber, daß der Alte von der Menschlichkeit seines ›Nachtasyls‹ abgerückt sei. ›Ich kenne nur einen Mann‹, sagte er,mit dem eigenen Familiennamen spielend, ›dem niemals der Ruhm zu Kopf steigen wird'. Er meinte seinen Vater, den er verehrte.« Doch in einem nach Abschluß des Manuskripts entstandenen Anhang erwähnt Regler das Bild, das Mann von ihm gezeichnet hatte und das ihm keine Ruhe ließ – und versucht es zögerlich zu dementieren: »Klaus Mann. Er beschrieb den Kongreß in seinem ›Wendepunkt'; er deutete mit liebenswerter Toleranz auf den Tisch, an dem ich mit Plivier [!] saß; ich machte den Eindruck eines starren Marxisten, so scheint es, und war es wohl auch im Gespräch ›nach außen'.« Mann also eher bestätigend denn widerlegend, fährt er fort: »Hervorzuheben ist die Güte dieses tragischen Liberalen. Kein ironisches Wort ist je zwischen uns gefallen; er hatte die besten Manieren; er war ein angenehmer, aber gefolterter Sohn seines großen Vaters. Seine Verwirrungen und Probleme lagen auf ganz anderen Gebieten.« Legte Regler die Betonung (vielleicht unbewußt) auf das erste Wort des Satzes? Meinte er möglicherweise: Seine Verwirrungen und Probleme – im Unterschied zu den eigenen? Etwa dem Problem seiner lange nicht durchschauten Glaubenssehnsucht, die ihn in die KPD geführt hatte?
Bereits sieben Jahre vor ihrer ersten Begegnung findet sich bei Regler ein Hinweis auf Klaus Mann. In einem Notizbuch führt er unter seinen Lektüren dessen Debüterzählungen auf: »15.–20. 5.26: Klaus Mann: Vor dem Leben«. Die Förmlichkeit der Anrede in Reglers erstem Brief – offenbar die Antwort auf eine Einladung des acht Jahre Jüngeren, Beiträge für die »Sammlung« zu schreiben – läßt vermuten, daß es zuvor keinen persönlichen Kontakt gab. Die wechselnden Grade von Vertrautheit kann man an den Anredeformeln ablesen: zuerst höflich-korrekt ("Sehr geehrter Herr Klaus Mann«), einmal, im Oktober 1934, freundschaftlich ("Lieber Klaus«), danach wieder etwas distanzierter ("Lieber Klaus Mann«); zum Du kam es jedoch nie.

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SINN UND FORM 2/2011, S. 177-183