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Heftarchiv – Leseproben

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[€ 9.00]  ISBN 978-3-943297-18-8

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Leseprobe aus Heft 4/2014

Henneberg, Nicole

ST. PETERSBURG UND BERLIN
Katharina Wagenbach-Wolff und die Friedenauer Presse


Literarische Leidenschaften und spektakuläre Entdeckungen prägen das Leben von Katharina Wagenbach-Wolff, in deren Biographie sich das zwanzigste Jahrhundert spiegelt: Ihre Großeltern erlebten den industriellen Aufschwung im Rußland der Jahrhundertwende, wurden nach der Oktoberrevolution enteignet und gingen nach Deutschland ins Exil – ihr Vater war damals fünfzehn Jahre alt. Sie selbst überstand den Bombenkrieg in Berlin und erfuhr später, als Buchhandels- und Verlagslehrling in Frankfurt, den Neubeginn der fünfziger Jahre. Zurück in Berlin, geriet sie mit ihrem damaligen Mann Klaus Wagenbach ins Zentrum der 68er Bewegung, lernte Ulrike Meinhof kennen und erlebte hautnah den politischen Sog der Roten-Armee-Fraktion. Sie lächelt, wenn man sie auf eine ihrer typischen Eigenschaften anspricht: ihren Eigensinn. 2014 feiert sie ihren fünfundachtzigsten Geburtstag, aber an Ruhestand denkt sie nicht. Die weitläufige, mit geerbten Antiquitäten eingerichtete Berliner Altbauwohnung in der Carmerstraße ist zugleich Sitz ihres Verlags, der Friedenauer Presse – auch diese räumliche Einheit hat, wie alles in ihrem Leben, Tradition. Es sind besondere Bücher, die hier entstehen, Gesamtkunstwerke vom Umschlag über den Druck bis zur Bindung. Schon auf den ersten Blick spürt der Leser, daß diese Bücher nicht nur schöner aussehen, sondern auch aufmerksamer gelesen werden wollen – dafür belohnen sie mit geistigen Abenteuern und echten Entdeckungen. Isaak Babels »Reiterarmee« erschien hier erstmals unzensiert, genau wie seine »Kriegstagebücher«, die damals selbst in der Sowjetunion nicht vollständig vorlagen. Außerdem widmet sich der Verlag der Pflege vieler verfemter Schriftsteller, etwa von Leonid Dobyčin, einem der wichtigsten russischen Prosaautoren des zwanzigsten Jahrhunderts.

Seit fünf Generationen hat die aus Petersburg stammende Buchhändler- und Verlegerfamilie mit Büchern zu tun; Katharina Wagenbach-Wolffs Tochter Nina kümmert sich heute im Wagenbach-Verlag um Werbung und Vertrieb, um den Bereich also, für den ihre Mutter in dem von ihr und Klaus Wagenbach 1964 gegründeten Verlag sechzehn Jahre lang zuständig war. Damals war er eine Bastion anarchistischen und radikal-sozialistischen Denkens, was den Großeltern Wolff nach der Erfahrung des bolschewistischen Terrors sicher Schauder über den Rücken laufen ließ. Sie hätten manche Irrtümer aufklären können, waren dazu aber zu höflich, und der Schwiegersohn hütete sich, mit ihnen darüber zu diskutieren.

Anfang der fünfziger Jahre lernte Katharina Wolff ihren späteren Mann in Frankfurt kennen, der damals bei ihrem Vater, Geschäftsführer des jungen Suhrkamp Verlags, in die Lehre ging. Letzterer war zunächst alles andere als glücklich über diese Begegnung. Er habe seinem Lehrherrn die Tochter geklaut, erzählt Klaus Wagenbach amüsiert: »Katia kam als wohlerzogene junge Dame aus der Schweiz und ging dann in die Berufsschule. Dort haben wir uns kennengelernt. Sie hat mich schwer beeindruckt, ich kam ja mehr von unten, mein Vater war ein Bauernkind. Ihre Eltern haben gemault, meine auch: Sie war russisch-orthodox, das war für meine katholische Mutter natürlich ein Affront.«

Der schon damals politisch hellhörige Wagenbach erkannte sofort, daß er in eine spezielle Familie mit einer schmerzlichen Geschichte geraten war, deren Mitglieder so zurückgezogen lebten, weil sie als Staatenlose in der Zeit des Nationalsozialismus nur einen Nansen-Paß besaßen, also höchst gefährdet waren. Man merkte dieser Familie die über lange Jahre ständig erfahrene Sorge an. Wie dünn das Eis wirklich war, wußte allerdings niemand: Der Großvater Wolff, Katharinas Lieblingsopa, stammte aus einer jüdischen Familie, und für den obligatorischen »Ariernachweis« waren seine Papiere gefälscht worden. Auf einem Kinderfoto sitzt die neunjährige Katharina auf einer Gartenbank neben dem lächelnden Ludwig Wolff, einem würdigen Herrn mit scharf geschnittenem Gesicht und großem Schnurrbart. Beide sind von Kopf bis Fuß weiß gekleidet – das Bild wirkt wie auf einer Datscha in der Nähe Petersburgs aufgenommen. Er nannte sich »Herr Kommerzienrat«, was auf die Berliner Bekannten großen Eindruck machte. Doch die traumatische Erfahrung der Enteignung und die Morddrohungen seiner Arbeiter hat er nie überwunden. 1917 gelang Wolffs die Flucht, nur kamen sie als Besitzlose an. Die Bolschewiki hatten an der Grenze unbemerkt den Gepäckwagen abgehängt.

Katharinas Vater, Andreas, hatte zwar auf einem Petersburger Gymnasium Deutsch gelernt, doch er tat sich schwer mit der Sprache und behielt zeitlebens seinen weichen, baltischen Akzent. In Wiesbaden, der ersten Exilstation der Familie, und dann in Leipzig absolvierte er eine Buchhändlerlehre und arbeitete anschließend zwei Jahre im Berliner S. Fischer Verlag. 1931 gründete er im ruhigen Stadtteil Friedenau, der damals noch wenig Ähnlichkeit mit dem späteren Dichterbiotop hatte, eine Buchhandlung samt Leihbücherei. Einer seiner Stammkunden, der Theaterkritiker Friedrich Luft, erinnerte sich später: »Die Vorstadt war idyllisch, zutiefst kleinbürgerlich, jedem Fortschritt abhold – und stramm deutschnational. Schwarzweißrote Fahnen hingen, wenn geflaggt wurde, von den hübschen Balkonen. Daß Kurt Tucholsky einmal für kurze Zeit in unserer Kaiserallee gewohnt hatte, konnte ich gar nicht glauben.« Der Erfolg von »Wolff’s Bücherei« beruhte auf der Ausstrahlung des versierten Buchhändlers, einer »literarischen Natur«, wie Friedrich Luft anmerkte, der sich in diesem Laden wie im Wohnzimmer eines Bücherfreundes fühlte und es zu schätzen wußte, daß man hier die verbotenen Bücher aus den Exilverlagen ausleihen konnte – noch heute sieht man im »Zauberberg« in der Bundesallee die Falltür, die ins geheime Lager im Keller führt. Eine Aura »liberaler Exotik« umgab die Familie, was Luft tief beeindruckte. Er war auch oft in der Wohnung in der Wilhelmshöher Straße zu Gast, dann wurde der Samowar angeheizt und die Gastgeberin buk Blinis.

Aus dem Nichts hatte Katharinas Urgroßvater Moritz Wolff ein Verlagsimperium geschaffen, das zuletzt siebenhundert Angestellte beschäftige und auf der Basilius-Insel Verlagshaus, Druckerei und Schriftgießerei vereinte. Erst nachmittags ging er in seine Buchhandlung am Newskij-Prospekt, der Petersburger Lebensart entsprechend, nach der man zwischen elf und zwölf Uhr frühstückte und wichtige Geschäfte nach dem Abendbrot erledigte. In seinem winzigen Arbeitskabinett trafen sich – unter den mißtrauischen Blicken der Geheimpolizei – die wichtigsten Autoren der Stadt: Gontscharow, Dostojewskij, Turgenjew und Leskow. Letzterer brachte oft junge Autoren mit und rühmte Wolff als »unübertroffenen Zaren der russischen Bücher. Seine Armee ist gestreut von Jakutsk bis Warschau, von Riga bis Taschkent, in seinen Händen hält er das Schicksal der russischen Literatur.« Von ihm muß jenes Buchhandel-Gen stammen, das die Familie seither prägt. Eine Konstellation, die in Verlagsfamilien häufig vorkommt, meint dazu Katharina Wagenbach-Wolff.

Sie wuchs, 1929 geboren, unbeschwert in Friedenau auf, besuchte eine öffentliche Schule und hatte viele Freunde. An den alljährlichen Weg zur Gestapo, um die Aufenthaltsgenehmigung zu verlängern, erinnert sie sich allerdings noch genau, weil ihre Mutter immer furchtbar nervös war. Und noch einen Kummer gab es: Sie durfte nicht in den BDM, was sie unbedingt wollte, da alle ihre Freundinnen dorthin gingen. Zwar schaffte sie es, ihre Mutter in einen Laden zu schleppen, wo es BDM-Uniformen gab, aber die weigerte sich, eine zu kaufen. Eine Zeitlang ging Katharina heimlich zu den Treffen mit, aber die martialischen Lieder und pathetischen Feiern stießen sie bald ab.

Als in den letzten Kriegsjahren die Bombenangriffe auf Berlin immer bedrohlicher wurden, übersiedelte die Familie in ein winziges Fischerhäuschen in Caputh, wo der Freund Peter Suhrkamp sie oft besuchte. Er kam mit dem Fahrrad aus dem nahen Potsdam. 1944 war er schwerkrank aus dem KZ Sachsenhausen entlassen worden. Unter anderem hatte die Denunziation eines falschen Freundes, dem er Briefe an Hermann Hesse anvertraut hatte, zu seiner Verhaftung geführt. Nun saß er mit Andreas Wolff im Garten und schmiedete Verlagspläne. Doch noch war der Krieg nicht vorbei. Der Vater informierte die russischen Fremdarbeiter im Dorf über die Nachrichten der BBC und lieh ihnen russische Bücher. In den letzten Kriegstagen – die SS hatte in unmittelbarer Nähe einen großen Stützpunkt – bezog die russische Armee Stellung auf der gegenüberliegenden Seeseite. »Als die Russen kamen, fingen sie an, von Gatow aus auf das Dorf zu schießen. Da fuhr mein Vater mit einem Fremdarbeiter im Boot hinüber, ging zu den russischen Offizieren und bat sie, nicht mehr zu schießen – im Dorf seien keine SS-Leute mehr«, erzählt Katharina Wagenbach-Wolff. Davon, daß das Dorf dank der Initiative von Andreas Wolff unzerstört blieb, wollen bis heute weder die Caputher Bürger noch die dortige Heimatforschung etwas wissen – nach dem Krieg verdächtigte man den Retter sogar, russischer Spion gewesen zu sein.

In Frankfurt, wohin die Wolffs Peter Suhrkamp wegen der Papierknappheit und der schwierigen Arbeitsbedingungen in Berlin gefolgt waren, erlebte man die Euphorie und die Hoffnung der Nachkriegsjahre viel intensiver als im größtenteils zerstörten und von den Siegermächten geteilten Berlin. Katharina, die nach Kriegsende zwei Jahre in Lausanne studiert hatte und fließend Französisch sprach, begann eine Lehre bei den Frankfurter Heften. Der Verlag gehörte Eugen Kogon, dessen Buch »Der SS-Staat« wenige Jahre zuvor erschienen war. Er engagierte sich schon damals für ein geeintes Europa, war chronisch überarbeitet und entsprechend kurz angebunden. Ganz anders Alfred Andersch, der im Verlag die Reihe »Studio Frankfurt« herausgab und sich gern mit dem Lehrling unterhielt. 1953 holte er eine unbekannte Debütantin namens Ingeborg Bachmann in den Verlag, die für ihren Gedichtband: »Die gestundete Zeit« den Literaturpreis der Gruppe 47 erhielt. Diese Gedichte beeindruckten die spätere Verlegerin und spielten dreißig Jahre später eine entscheidende Rolle bei der Wiederbelebung der von ihrem Vater Andreas Wolff 1963 begründeten Friedenauer Presse. Ingeborg Bachmann sei kindlich aufgeregt gewesen und habe keine Korrekturzeichen gekannt – der Lehrling Katharina Wolff konnte ihr helfen und verstand damals, wie existentiell für einen Autor sein Buch sein kann.

Einige Jahre später verlor Klaus Wagenbach seine Lektorenstelle bei S. Fischer, weil er mit dem Briefkopf des Verlags dagegen protestiert hatte, daß ein DDR-Autor nicht zur Messe kommen durfte. Die Mauer war gerade gebaut worden, und weil Ost- und Westautoren ihn gleichermaßen interessierten, entstand der Plan, in Berlin einen Verlag zu gründen – eine Idee, die den Eltern Wolff so wenig gefiel wie die Manieren und politischen Ansichten des Schwiegersohns. Außerdem war Katharinas Vater als erfahrener Geschäftsmann besorgt, daß die junge Familie mit inzwischen drei Kindern nicht genug Geld verdienen würde.

Ein Verlag für Literatur aus Ost- und Westdeutschland mußte zwangsläufig zwischen alle politischen Fronten geraten. Als fataler Irrtum erwies sich auch die Hoffnung des jungen Verlegers, daß sich für die DDR-Intellektuellen die Lage – als eine Art Bonus für ihr Eingesperrtsein – nach dem Mauerbau entspannen würde. Wagenbach erinnert sich an Ulbrichts »furchtbare Rede« im Dezember 1965, daß die DDR ein sauberer Staat sei und keine Anarchisten dulde. »Wenn das Wort Anarchisten fällt, das weiß ich als alter Anarchist, dann müssen die Lyriker aufpassen. Denn die Lyriker sind natürlich die größten Anarchisten, die haben da nichts zu lachen. Und so war es auch.« Schnell wurde auch Wagenbach zur unerwünschten Person und bekam kein Einreisevisum mehr, also mußte seine Frau die Kontakte aufrechterhalten. Sie war oft bei Wolf Biermann in der Chausseestraße 131 zu Gast, wo mittels eines über die Grenze geschmuggelten Tonbandgeräts die Aufnahmen seiner ersten Schallplatte entstanden, die dann, weil kein westdeutsches Label einen kommunistischen Liedermacher herausbrachte, im Wagenbach-Verlag erschien. Schon der Lyrikband »Die Drahtharfe« war dort gedruckt worden, das Manuskript hatte Biermanns Mutter Emma in den Westen geschmuggelt. Doch oft mußte eben auch die Frau des Verlegers Kurier spielen, dafür band sie sich, nach einem Tip von Biermann, die Manuskripte mit Zellophanpapier auf den Bauch und hörte erst damit auf, als die Leibesvisitationen sich zu häufen begannen. In der Chausseestraße lernte sie alle wichtigen Leute kennen, von Stephan Hermlin bis zu Franz Fühmann. Im November 1976, am Tag nach der Ausbürgerung Biermanns, nahm sie an jenem Treffen in Hermlins Villa teil, bei dem die folgenreiche Protestpetition verfaßt wurde. Im Verlag gingen derweil die Meinungen darüber, was gedruckt werden sollte, immer weiter auseinander, dazu kamen grundsätzliche politische Differenzen. Der Streit wurde immer heftiger, denn es ging um die Macht, im wesentlichen also um das Programm. Die eine Fraktion wollte linksradikale und militante Schriften bis hin zu RAF-Texten, die andere eine »dokumentarische Literatur«. Unerläßliche Fähigkeiten fürs Lektorat, wie etwa Fremdsprachenkenntnisse, brachte dagegen kaum jemand mit.

Und der Alltag in der Jenaer Straße 6 war nervenaufreibend. Familie und Verlag teilten sich eine Wohnung und jeden Tag standen Genossen vor der Tür, die ganz selbstverständlich das Familienauto ausleihen, übernachten und essen wollten. Der magische Satz hieß: Du bist doch auch Genosse! In der riesigen, wilhelminischen Achtzimmerwohnung bewohnte die Sekretärin ein Zimmer, zwei waren Verlagsräume, die restlichen Zimmer teilte sich die fünfköpfige Familie. Es herrschte »ein ungeheurer Elan«, erzählt Katharina Wagenbach- Wolff, die damals über ein Jahrzehnt Kinder, Haushalt und Arbeit unter einen Hut brachte. Sie hielt eisern an bürgerlichen Ritualen fest, kochte jeden Tag und versammelte abends alle um den Tisch. Sogar Stoffservietten gab es, worüber sich Otto Schily, der langjährige Anwalt des Verlags, doch sehr wunderte: »Richtig manierlich eßt ihr hier!« Gleichzeitig entwarf sie Plakate für den Verlag, die weithin gerühmt wurden. Mit Layout und Druck hatte sie Erfahrung, während ihrer Frankfurter Lehrjahre hatte sie auch in einer Druckerei gearbeitet.

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SINN UND FORM 4/2014 S. 532-541, hier S. 532-537