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Heftarchiv – Leseproben

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[€ 14,00]  ISBN 978-3-943297-84-3
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Leseprobe aus Heft 4/2025

Plessen, Elisabeth

Mitteilung an den Adel.
Das unveröffentlichte Nachwort


Ich war im Sommer 1971 in einem kleinen Haus in den Bergen oberhalb von Latina oder des Capo Circeo, als ich die Nachricht vom Tod meines Vaters erhielt. Es gab in dem Haus kein Telefon. Der Postbote brachte das Telegramm meiner Mutter auf der Vespa. Mein Vater war in seinem Bett in seinem Schloß in Dänemark gestorben. Er hatte das Wochenende über nicht im Krankenhaus in Næstved bleiben wollen. Seit einem Jahr hatten wir uns nicht mehr gesehen. Ich hatte den Kontakt abgebrochen. Wir hatten uns nur noch gestritten. Ich machte mich auf den Weg zur Beerdigung, die auf seinem anderen Besitz in Ostholstein stattfinden sollte.

Wie sehr mich dieser Tod umgeworfen hatte, merkte ich erst allmählich. Ich hatte zuvor ein paar Gedichte und kleine Erzählungen veröffentlicht, der Hanser Verlag hatte meine Dissertation herausgebracht, aber einen Geschichtenband abgelehnt. Ich hatte fürs Dritte Fernseh- und Hörfunkprogramm gearbeitet und war dabei, »Katia Mann. Meine ungeschriebenen Memoiren« herauszugeben. Ernst Schnabel, mit dem ich damals zusammenlebte, machte sich für ein Rundfunkfeature in der Transsibirischen Eisenbahn auf den Weg. Statt mit ihm zu fahren, setzte ich mich hin und begann die »Mitteilung an den Adel«. Ich mußte aufschreiben, was mich mit meinem Vater, mit den Eltern so auseinandergebracht hatte, warum wir so aus- und aneinandergeraten waren. Wann hatte das Nicht-miteinander-Reden angefangen? Ja nicht erst 1968. Es ging in frühe Kinderzeiten zurück. Hatte ich zuvor gedacht, ich habe keine Welt, hatte ich nun auf einmal zuviel. Wie sie fassen, wie sie komprimieren, ohne mich im Epischen à la Tolstoi zu verlieren. Da fiel mir als Gerüst die Reise der Tochter von München, wo sie bei einer großen Zeitung arbeitete, nach Norddeutschland ein – eine Collage, ein Condukt quer durch die damalige Bundesrepublik.

Ich lebte in Berlin. Ich fuhr mit Ernst Schnabel im Auto, einem kleinen schwarzen MG, durch die DDR nach München. Dort sollte die Fahrt in die Vergangenheit losgehen. Am 19. Mai, wie im Roman beschrieben, fuhren wir von München aus auf die Autobahn. Schnabel am Steuer, ich auf dem Beifahrersitz mit Stift und Papier, um alles zu notieren, was mir links und rechts der Fahrbahn auffiel oder durch den Kopf ging. Da es Frühjahr war, wollte ich neben der Haupthandlung auch wissen, wie es in den Tagen der Autofahrt Frühling wurde. Was in München schon blühte, steckte weiter nördlich noch in den Knospen. Ich wählte den Namen Augusta, extra altmodisch. Augusta ist mein letzter Vorname. Elisabeth Charlotte Marguerite Augusta. Die Reise – das war eine offene Form, und ich wollte ja ins Offene – das Ziel lag in Norddeutschland. Ich wechselte offen (auch brüsk) zwischen der dritten Form – Augusta – und der ersten – Ich – hin und her.

Ich schrieb zweieinhalb Jahre an dem Manuskript. Ich hatte Siegfried Unseld kennengelernt, und Ernst Schnabel hatte ihm von dem Ding, das da im Entstehen war, erzählt, und Ferdinand Sieger auch. Sieger war damals der Urheberrechtsanwalt, und er war Justitiar mehrerer deutscher Verlage (auch des Suhrkamp Verlags, auch des S. Fischer Verlags). Ich war mit Sieger befreundet. In seinem Haus in Follonica waren viele Passagen des Buches entstanden. Ich traute mich nicht, mich direkt an Unseld zu wenden. Ihn interessiere das Thema sehr – ich solle, ließ er mich wissen, wenn ich fertig sei, den Roman an den Verlag schicken. Ich war sehr aufgeregt deswegen. Suhrkamp: Das war die Numero Uno unter den westdeutschen Verlagen und Unseld der Verleger. Ich gab Sieger das Manuskript, er hatte sich erboten, es an Unseld zu schicken: »Den 6. Februar 1975 Roman-Manuskript Elisabeth Plessen Lieber Herr Unseld! Unter diesem Aktenzeichen korrespondierten wir am 12./18. März 1974 und hängten inzwischen gelegentliche Randbemerkungen an Werk-Schwangerschaft und -Schwangere an. In letzterer Hinsicht waren wir uns in unserer Sympathie einig. Damit muß es jetzt ein jähes Ende haben. Wenigstens für Sie und Ihren Verlag. Denn hiermit übersende ich Ihnen, wie verabredet, das Manuskript, das Elisabeth auf der Reise von Berlin nach Locarno bei mir ausstieß. Sich seiner anzunehmen, versprachen Sie – freundlich wie immer oder meist – Ihrem (Dr. Sieger)«. »Burgel Zeeh ist die Privatsekretärin des großen Siegfried«, schrieb mir Sieger am 12. Februar 1975 und schickte eine Kopie ihres Antwortbriefs mit: »Lieber Herr Dr. Sieger, Dank für Ihren Brief vom 6. Februar und das Manuskript von Frau Plessen; nun muß ich Sie und sie um Geduld bitten: Herr Unseld ist seit heute für eine Woche (endlich einmal) im Schnee. Ich verwahre Ihre Sendung in jeder Hinsicht gut auf, er wird sich bald melden.« Ich wartete mit großer Hoffnung. Als Mitte April noch immer keine Antwort kam, wandte ich mich an Elisabeth Borchers, die damalige Cheflektorin. An Unseld zu schreiben traute ich mich nicht. Aus dem Brief: »[I]ch wage, obwohl Sie mich gar nicht kennen, Ihnen mit einer Sorge ins Haus zu fallen: seit über zwei Monaten liegt ein Romanmanuskript von mir im Verlag, das Ferdinand Sieger, mit dem Schnabel und ich befreundet sind, nach Gesprächen mit Herrn Unseld selber direkt an ihn geschickt hat. Jetzt weiß ich natürlich, daß das der dumme Weg war, aber es hilft nichts, er ist nun einmal begangen und umdirigieren kann ich die Sache nicht. Außer Sieger und Schnabel kennen auch Andersch und einige – nicht ahnungslose – Leute das Manuskript, und wenigstens einige sind der Meinung, daß das Buch gerade in diesem Jahr eine besondere Chance auf dem Markt hätte, vom Thema her und weil ich ja nun einmal eine Frau bin. [Es war das Jahr der Frau …] Herr Unseld ist ein beschäftigter Mann, wahrscheinlich liegt das Skript einfach noch im Sekretariat, und er ist noch nicht dazu gekommen, hineinzugucken. Meine scheue, aber sehr herzliche Bitte an Sie besteht eigentlich in einer Zumutung: Haben Sie Lust, es sich einmal herauszuholen und hineinzusehen? Ohne einen Tip von Ihrer Seite werde ich das Manuskript jedenfalls nicht zurückerbitten und mich nach einem anderen Verlag umsehen …« Dem Skript fehlten noch die letzten fünfundzwanzig Seiten, an seinem Ende fand sich statt ihrer eine kurze Skizze des Schlusses. Ich arbeitete noch daran, auch an einer Passage, die das Kriegstagebuch des Vaters betraf. Gleichzeitig hatte mich die Warterei aber auch verunsichert.
[...]

SINN UND FORM 4/2025, S. 518-528, hier S. 518-520